Essstörungen oder die Geschichte vom Suppenkasper

von Katharina Meyer

Beim Entstauben ist mir die Tage das Buch vom Struwwelpeter in die Hände gefallen und ich habe mich an die Geschichte vom Suppenkaspar erinnert. Sie gilt als erste Beschreibung der Magersucht in der Literatur im 19. Jahrhundert.

Keine Sorge, es folgt an dieser Stelle weder eine Literaturkritik noch eine medizinische oder tiefen-psychologische Erörterung zum komplexen Thema der Essstörungen. Vielmehr geht es um ein bißchen Nostalgie, die mich immer überkommt, wenn ich alte Kinderbücher lese – auch wenn diese Geschichte gerade für Kinder das Thema auf ziemlich brutale und vor allem finale Weise auf den Punkt bringt. Die Verse hat der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann 1844 als Weihnachtsgeschenk für seinen 3-jährigen Sohn verfasst:1

Der Kaspar, der war kerngesund, ein dicker Bub und kugelrund. Er hatte Backen rot und frisch;

die Suppe aß er hübsch bei Tisch. Doch einmal fing er an zu schrei’n:

„Ich esse keine Suppe! Nein! Ich esse meine Suppe nicht!

Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“

Am nächsten Tag, ja sieh nur her, da war er schon viel magerer.
Da fing er wieder an zu schrei’n: „Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“

Am dritten Tag, o weh und ach, wie ist der Kaspar dünn und schwach!

Doch als die Suppe kam herein, gleich fing er wieder an zu schrei’n:
„Ich esse keine Suppe! Nein! Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“

Am vierten Tage endlich gar, der Kaspar wie ein Fädchen war.
Er wog vielleicht ein halbes Lot.

Und war am fünften Tage tot.

Der Struwwelpeter; Heinrich Hoffman, Frankfurt am Main: Literarische Anstalt Rütten & Loening, 1917 (400. Auflage) 

Als Arzt und Psychiater konfrontierte Hoffmann zum ersten Mal eine breite Öffentlichkeit mit dem Krankheitsbild der Magersucht oder Anorexia nervosa. Vor dem Hintergrund, dass die deutsche Bevölkerung im 19. Jahrhundert noch unter Hungersnöten litt, war eine freiwillige Nahrungsver-weigerung zum damaligen Zeitpunkt ein stark tabuisiertes Thema.

Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen die Betrachtungen auf Länderebene in den letzten zwei Jahrzehnten eine deutliche Zunahme von Essstörungen in den letzten zwei Jahrzehnten.2 Auch Corona hat in diesem Bereich Einfluss auf das Ernährungsverhalten: Auf Basis der DAK-Sonderanalyse nahmen Magersucht und Bulimie im Vorjahresvergleich noch einmal mit einem deutlichen Anstieg von zehn Prozent zu.3

Vor dem Hintergrund dieser steigenden Zahlen finde diese Geschichte als „historische“ Warnung im Ernährungskontext einen kurzen Beitrag wert. Denn Essstörungen stellen ernsthafte Erkrankungen dar, bei denen der Umgang mit dem Essen und das Verhältnis zum eigenen Körper gestört ist. Man unterscheidet in drei Grundformen: Magersucht, Bulimie und Binge-Eating-Störung.

Im Jahr 2019 wurden in deutschen Krankenhäusern über 10.500 Fälle von Essstörungen vollstationär behandelt und es gab 65 Todesfälle. Über 70 Prozent waren davon alleine auf Magersucht zurückzuführen.4,5,6 Doch auch die weniger extremen Formen besitzen ein hohes Risiko für psychische und physische Folgeschäden und sind in den meisten Fällen behandlungsbedürftig.

Eine gute Aufklärung und hilfreiche Informationen liefert die digitale Plattform des Bundesministeriums für gesundheitliche Aufklärung.

Empfehlungen und Quellen für weiterführende Literatur zum Thema

1 – Der Struwwelpeter gehört wohl zu den ältesten und erfolgreichsten deutschen Kinderbüchern. Erstellt hat es zu Mitte des 19. Jahrhunderts der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann. Aufgrund erfolgloser Suche nach einem geeigneten Bilderbuch für seinen – wohlgemerkt erst 3 jährigen – Sohn zur Weihnachtszeit, griff er notgedrungen selbst zu Tinte und Papier und verfasste das bekannte Werk mit seinen Einschüchterungsgeschichten.

2 – www.bzga-essstoerungen.de, entnommen 15.01.2022

3 – Folgen der Pandemie in der Krankenhausversorgung 2020, DAK-Sonderanalyse im Rahmen des Kinder- und Jugendreports, Leitung: Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld, 9 September 2021

4 – https://de.statista.com/statistik/daten/studie/219152/umfrage/in-krankenhaeusern-diagnostizierte-faelle-von-anorexie-und-bulimie/, entnommen 09.01.22

5 – https://de.statista.com/statistik/daten/studie/497296/umfrage/todesfaelle-durch-essstoerungen-nach-diagnose/, entnommen 08.01.2022

6 – https://de.statista.com/themen/128/magersucht/, entnommen 14.11.2021

Katharina Meyer

Hallo Ernährungsfan, hier schreibt Katharina, leidenschaftliche Ernährungsberaterin und systemischer Coach mit der Mission, die Welt noch ein wenig gesünder zu machen. Falls Dir die Blog-Kostproben noch nicht ausreichen, melden!
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